Redende Steine

Die Symbolik der Steine

Auf dem Festland setzte sich die Sitte, jedes Grab mit einem Stein zu zieren, erst gegen 1800 durch. Ganz anders verhielt es sich auf den Inseln Föhr und Amrum, deren Bewohner schon immer über See Beziehungen zu den Sandsteinbrüchen des Wesergebietes oder auch zu den belgischen Steinbrüchen (Namurer Blaustein) an der Maas pflegten. So enrwickelte sich hier bereits vom Anfang des 17. Jahrhunderts an bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eine Grabsteinkultur von bemerkenswerter Eigenart.

Auf unserem Friedhof von St. Laurentii befinden sich noch etliche schmale, aufrecht stehende Sandsteinplatten aus dieser Zeit, die der Fachmann als Stelen bezeichnet. Diese Grabplatten werden zurecht als "Redende Steine" bezeichnet, da der hineingeschlagene Text von vielerlei Lebenswegen und - erfahrungen erzählt. Sicherlich sollte mit diesen Worten der Nachwelt Trost und Hoffnung vermittelt werden.

Die "Redenden Steine" berichten ferner liebevoll von der jeweiligen Familiengeschichte; das Alter der Verstorbenen wird akribisch angegeben, z.B.: ... bis ihn der Allwaltende in einem Alter von 66 Jahren 31 4/7 Wochen abrief ... .

Die große Mehrheit der Steine erzählen von der unerschütterlichen Zuversicht auf die Auferstehung nach dem Tode und auf ein frohes Wiedersehen der Angehörigen im Himmel. Unsere Steine reden aber nicht nur durch die in sie hineingeschlagenen Worte, auch "Redende Zeichen" , Symbole also, erzählen uns von der Arbeit und dem Glauben der Verstorbenen.

Wir denken hier insbesondere an SCHIFFSDARSTELLUNGEN, das Dreiersymbol GLAUBE, HOFFNUNG, LIEBE und an den FAMILIENSTRAUSS, die alle drei im Folgenden noch genauer beschrieben werden.

Schiffsdarstellungen

Die Schiffsdarstellungen sind wohl die natürlichsten Symbole unserer Inselwelt - ein Berufssymbol! Das Schiff gilt als Inbegriff der Lebensgrundlage. Es wird auf eine sorgfältige, sachgerechte Darstellung geachtet; die Details der Takelage werden liebevoll gestaltet.

Das Schiffssymbol hat aber eine zweite Bedeutung: Das Fahrzeug, jetzt als die Seele des Christenmenschen gedeutet, ermöglicht uns eine Seereise über das unruhige Meer des Lebens, um endlich im Hafen der Ewigkeit für immer anlegen zu dürfen.

Der Kirchenvater Augustinus beschreibt dieses in einem wunderbaren Gebet: "Selig sind die Deinen, mein König und mein Gott, die über das stürmische Meer der Vergänglichkeit gefahren sind und zuletzt den friedevollen Hafen erreicht haben".

Das Schiff unter vollen Segeln

Das unter vollen Segeln fahrende Schiff ist noch auf der Reise. In der Bekrönung der Stele des Kapitäns Jacob Marcussen erkennen wir ein stattliches Vollschiff, auch Fregatte genannt, im Schmuck aller Segel. Es gleitet wie schwerelos nach backbord. Dies Schiff symbolisiert die Seele eines Christenmenschen, die freudig dem friedvollen Hafen zustrebt. Die in das obere Halbrund der Stele hineingeschlagenen Worte: "Fahre freundlich von dannen, auch der ist freundlich der dich ruft." bestätigt unsere Deutung.

Das abgetakelte Schiff

Das abgetakelte Schiff hat den Hafen erreicht. Das abgetakelte, am Bug sorgfältig vertäute Bootschiff des Commandeurs Matz Jong Rörden, macht uns deutlich, dass hier der Seemann das angestrebte Ziel seiner Lebensfahrt, den ruhigen Hafen, erreicht hat. Auch hier wird unsere Auslegung durch den Spruch in der Bekrönung bestätigt: "Nun bin ich in den Hafen meiner irdischen Vollendung anglangt." Das abgetakelte Schiff gilt als Hinweis auf den Toten, dessen Körper einem solchen Schiff gleicht. Die Seele des Matz Jong Rörden aber kann mit Hilfe des am Heck vertäuten Beibootes zu Gott dem Herrn des Hafens der Ewigkeit, angelangen.

Glaube - Liebe - Hoffung

Diesem Symbol, das uns der nebenstehende Grabstein zeigt, liegt die biblische Aussage 1.Kor. 13 Vers 13 zugrunde: "Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen". Man spricht hier auch von den drei christlichen Kardinaltugenden.

Das KREUZ ist immer das Symbol des GLAUBENS an die Erlösung durch den gekreuzigten Jesus Christus.

Der ANKER ist das Symbol für die HOFFNUNG. Für die Christen wird im Hebräerbrief 6 , Vers 18-19 Jesus als "sicherer und fester Anker unserer Seele" genannt.

Die wichtigste Kardinaltugend, die LIEBE wird durch das HERZ symbolisiert. Der Apostel Paulus hat von der "Liebe aus reinem Herzen" 1. Tim. 1 Vers 5 gesprochen. Daher wurde das Herz zum allgemeinen Begriff der Liebe.

Dieses DREIERSYMBOL ist bis heute hin das häufigste "Redende Zeichen" auf unseren Steinen.

Der Familienstrauß

In der Bekrönung des weißen Grabsteines erkennt man das Symbol des Familienstraußes , das es nur auf den Inseln Föhr und Amrum gibt. Diesem Symbol liegt das biblische Motiv der Blume zugrunde, das unter anderem im 103. Psalm, Vers 15 - 16, beschrieben wird: "Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Feld; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr." (Ähnlich bei Jes. 40, Vers 6 - 8). Auf einem Stein mit dem Familienstrauß steht: "Des Lebens kurze Frist wie eine Blume ist". Der Strauss bezeichnet die engere Familie des Begrabenen. Stets werden die männlichen Mitglieder links als Blüten dargestellt - hier als Tulpen, immer rechts die weiblichen. Vater und Mutter stellen die obersten Blüten links und rechts dar; je nach Geschlecht folgen danach chronologisch die Kinder. Blütenarten und ihre Farben sind nicht festgelegt.

Sind zur Zeit der Herstellung des Steines Angehörige verstorben, so hängen die Blüten abgeknickt herunter, andernfalls stehen sie aufrecht. War der Stein gesetzt, so hielt man das Sinnbild in der Weise auf dem laufenden, dass man den Stiel mit einer Kerbe versah, wenn der Mensch, den die Blüte darstellen sollte, gestorben war.